Es ist nicht das erste Mal, dass medizinische Erkenntnisse und daraus resultierende Empfehlungen nur so lange halten, bis eine andere Studie das Gegenteil zu Tage fördert. Hier zeigt sich, dass der Arzt auch noch so seriöse medizinische Studien und deren Ergebnisse immer mit einer Portion Misstrauen und gesunden Menschenverstand beurteilen muß. Doch worauf möchte ich hinaus?
Im Januar 2013 wurde im US-amerikanischen Ärzteblatt festgestellt, dass Übergewicht zwar ein Risikofaktor für Diabetes und Herzkreislauferkrankungen sei, jedoch leicht übergewichtige Menschen ein vermindertes Sterberisiko haben. Dies war das Resultat einer Auswertung von 97 Studien und 2,88 Millionen Teilnehmern, damals die bisher umfangreichste Untersuchung über den Einfluss des so genannten Body Maß Index (BMI) auf die Sterberate. Damals kamen die Wissenschaftler zu dem paradoxen Ergebnis, dass gering Übergewichtige (BMI 25-29,9 kg/m2) eine niedrigere Sterblichkeit haben als Normalgewichtige (BMI 18,5-5 22,9 kg/m2). Auch wenn es sich um eine Reduktion von „lediglich“ 6 % handelte und Ärzte sich fragten, ob dies denn überhaupt eine klinische Relevanz habe, wurde doch dank der großen Datenmenge eine zumindest statistische, also errechnete Signifikanz festgestellt. Man ging sogar so weit zu behaupten, dass selbst für Menschen mit Grad I-Adipositas (BMI 30-34,9Kg/m2) noch ein um 5 % vermindertes Sterberisiko haben sollen. Dieser damals viel beachtete Zusammenhang wird seither als „Adipositas-Paradoxon“ bezeichnet.
Eine im Juli 2016 in einer renommierten medizinischen Zeitschrift veröffentlichten Untersuchung widerlegte dieses Adipositas-Paradoxon: nun soll auch leichtes Übergewicht die Sterblichkeit erhöhen.
Eine neue Metaanalyse – die bisher umfassendste Untersuchung auf diesem Gebiet – kommt jetzt zu einem ganz anderen Ergebnis. Ausgewertet wurden hier nun 239 Studien mit 10,6 Millionen Teilnehmern und, anders als in früheren Studien, wurden hier Verzerrungen durch Rauchen oder chronische Erkrankungen ausgeschlossen. Beide Faktoren reduzieren das Körpergewicht und können daher zu einer Verzerrung führen. In der jetzigen Metaanalyse wurden nur Nie-Raucher berücksichtigt und Todesfälle in den ersten fünf Jahren nach Feststellung des Körpergewichts sowie Patienten mit bekannten chronischen Erkrankungen ausgeschlossen. Hätte man das nicht gemacht, wäre das Adipositas-Paradoxon bestätigt worden.
Jetzt zeigte die Analyse, dass Menschen mit einem BMI von 25 bis unter 27,5 kg/m2, bereits ein um 7% erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufweisen, bei einem BMI von 27,5 bis unter 30 kg/m2, der Grenze zur Adipositas, war das Risiko bereits um 20% erhöht. Ein BMI von 30 bis unter 35 kg/m2 (Adipositas Grad I) erhöhte das Sterberisiko um 45%, ein BMI-Bereich von 35 bis unter 40 kg/m2 (Adipositas Grad II) um 94%. Jeder Anstieg um 5 BMI-Einheiten war mit einem um 31% Prozent erhöhten Sterberisiko verbunden.
Für Männer bedeutet dies: Das Risiko vor dem 70. Lebensjahr zu sterben liegt bei Normalgewicht bei 19% und steigt bei Adipositas Grad I auf 29,5%. Bei Frauen steigt das Risiko dagegen nur von 11 auf 14,6%, sodass das Sterberisiko durch Adipositas bei Männern doppelt so hoch ist wie bei Frauen.
Für mich, ein schönes Beispiel, wie man bei Zusammenschlüssen von vielen Studien (Meta-Analysen) das gewünschte Ergebnis Maße schneidern kann.
Dr. med. Luai Chadid – Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie
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