Antibiotika – Heil oder Unheil?
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Antibiotika – Heil oder Unheil?

Es ist kein großes Geheimnis mehr, dass eine der wesentlichen Gefahren in der Zukunft nicht nur die Klimaerwärmung die zunehmende Schere zwischen reich und arm oder die extremistischen, mordenden Bewegungen dieser Welt sind. Das alles ist schon schlimm genug. Nein, die Gefahr ist viel näher: immer mehr Menschen sterben an Infektionskrankheiten.

Dies hat mehrere Ursachen. Zum einem schleppen durch die zunehmende Reisefreude viele Menschen bisher hier unbekannte Erreger ein und zum anderen werden immer mehr auch „übliche“ Keime immer resistenter gegen immer mehr Antibiotika. Leipziger Wissenschaftler empfehlen mittlerweile, Patienten bei der Aufnahme im Krankenhaus auf resistente Erreger zu untersuchen, wenn sie in den vergangenen sechs Monaten in Indien oder Südostasien waren. Die Stiftung Patientenschutz geht noch weiter und will ein Screening für alle Patienten.

Und dass dieses Problem schon die Politiker auf dem kürzlich stattgehabten G7-Beratungen zum Thema machen, hat seinen Grund. In einer kürzlich veröffentlichten Verlautbarung des deutschen Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat dieser „schnelle und kluge Maßnahmen gegen Antibiotika-Resistenzen“ angemahnt. Seiner Meinung nach habe dieser Umstand „ein ähnlich verheerendes Potenzial wie der Klimawandel. Werde nicht gegengesteuert, bedeute das eine Katastrophe und den Rückfall ins Vor-Penicillin-Zeitalter“ so der Minister.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, begrüßte die G7-Initiative: „Gerade vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Jahren nur wenige neue Antibiotika auf den Markt kamen, sei es besonders bedenklich, dass in der Tiermast doppelt so viele Antibiotika wie in der Humanmedizin eingesetzt würden, darunter Antibiotika, die in der Behandlung von Menschen unverzichtbar sind.“ In der Tat setzt die Pharmaindustrie zu wenig Gelder für Antibiotika-Entwicklungen ein. Es wird allgemein bemängelt, dass Pharmaunternehmen weniger in die Entwicklung neuer Antibiotika investiere als in Medikamente, die höhere Gewinne einfahren. Dies sei ein „gravierendes Marktversagen, das die Staaten korrigieren müssten“. In den USA werden 80% der hergestellten Antibiotika in der Tierhaltung verbraucht. Es ist dort üblich, die Tiere zur Wachstumsbeschleunigung nur mit niedrigen Dosen von Antibiotika in der Massentierhaltung zu behandeln, was wiederum vielen Bakterienstämmen ein Überleben erlaubt, und ihnen somit Zeit lässt, eine Resistenz gegenüber diesen Antibiotika zu entwickeln.

Erst kürzlich las ich in einem Protokoll der TED (Tecnología, Entretenimiento, Diseño), dass 86% eines jeden im Supermarkt ausgegebenen Dollars für die Verarbeitung und Kommerzialisierung der Nahrungsmittel ausgegeben wird. Somit bleiben den Produzenten (Landwirte & Bauer) in der Landwirtschaft nur 14% für die Produktion von Lebensmitteln (einschließlich der Kosten für Samen, Dünger und Tierfutter) übrig. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass hier wenig Rücksicht auf die Vermeidung des Einsatzes potenziell gesundheitsschädlicher Chemikalien ausgeübt werden kann. Nahrungsmittel müssen demzufolge billigst produziert werden, dies vor allem auf Kosten der Qualität!

Seriösen Schätzungen zufolge sterben in Europa jedes Jahr ca. 25.000 Menschen an eine gegen verfügbare Antibiotika resistente Infektion, Tendenz rapide steigend. Diese Infektionen verursachen jährliche Kosten von 1,5 Mrd Euro. Man vermutet, dass sich alleine in der EU jährlich ca. 4 Millionen Menschen in Krankenhäuser infizieren. Da dort viele Antibiotika sehr häufig zum Einsatz kommen, sind die auslösenden Organismen besonders antibiotikaresistent. Mediziner sprechen in solchen Fällen von sog. multiresistenten Bakterien, einer der schwierigsten und gefürchtetsten Stämme hierunter ist der multiresistente Staphylokokkus aureus kurz MRSA genannt. Einem kürzlich veröffentlichten Bericht des englischen Premierministers zufolge wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2050 die Zahl der durch antibiotikaresistente Infektionen getöteten Menschen weltweit die 100 Millionengrenze erreichen wird, demnach ca. 10 Millionen Sterbefälle jährlich. Die Behandlungskosten dieser Infektionen würden weltweit auf unglaubliche 1000 Milliarden Dollar ansteigen. Der Gesundheitsexperte Kevin Outterson sagte der renommierten Zeitschrift „Scientific American“: „wir müssen die zunehmende Antibiotikaresistenz in den nächsten 35 Jahren als eine globale Bedrohung auf dem langsamen Weg zu einem Desaster wahrnehmen. Wenn wir hier nichts unternehmen, werden uns diese Infektionskrankheiten einen großen Betrag unserer Wirtschaftsleistung kosten.“

Dies deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen in der Praxis. Nicht die Operationen an sich stellen die Gefahren dar. Es sind vielmehr die über viele Wochen bis Monate anhaltenden postoperativen Infektionen, die mich immer wieder veranlassen, Operationen nur dann zu befürworten, wenn diese unbedingt erforderlich sind. Das geschieht leider nicht immer so. In vielen spanischen Krankenhäusern (aber auch woanders in Europa und vor allem in Entwicklungsländern) ist es üblich, den Patienten vor und nach einer Operation Antibiotika als vorbeugende Massnahme zu geben. Auch dies fördert die Resistenzbildung. Klar, Antibiotika haben zwar den Kampf gegen bakterielle Krankheiten revolutioniert, die zuvor oft tödlich endeten, aber ein unvorsichtiger Umgang mit diesen Medikamenten lässt die Wirkung dieser Revolution immer mehr erblassen. Daher sind vor allem wir Ärzte in der Pflicht: Zu häufig werden Breitspektrum-Antibiotika für banale Infektionen oder gar ohne eine genaue Diagnosestellung verordnet. Zudem sind solche Mittel vielerorts rezeptfrei erhältlich. „Der Blick für eine rationale Antibiotika-Therapie müsse geschärft werden. Bei der Bekämpfung von im Krankenhaus erworbene Infektionen müssten die Strukturen in der Klinikhygiene ausgebaut werden, um mehr Hygiene-Fachärzte weiterzubilden“, so der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Montgomery. Leider haben viele Krankenhausgesellschaften aus Kostengründen zu wenige Hygiene-Fachärzte in ihren Reihen, eine aus meiner Sicht unverzichtbare Institution, um die hygienischen Vorschriften in Krankenhäuser zu überwachen und Mitarbeiter zu schulen.

Wer als Träger multiresistenter Bakterien infrage kommt oder länger als 14 Tage im Leipziger Krankenhaus bleiben muss, dessen Stuhl wird bei Aufnahme und im weiteren Verlauf dann einmal wöchentlich auf entsprechende Erreger untersucht, so eine zumindest in Deutschland zunehmend praktizierte Handlung. Fällt das Screening positiv aus, werden entsprechend verschärfte Hygienemaßnahmen umgesetzt. „Das Screening kostet das Klinikum zwar zunächst viel Geld. Langfristig wird es sich aber auszahlen, weil so Krankenhausinfektionen vermieden werden“, sagen Krankenhaushygieniker.

„Ein Ausbruch resistenter Erreger versetze ein Krankenhaus in die Situation von Ländern, in denen überhaupt keine Antibiotika zur Verfügung stehen“, sagt Alexander Friedrich vom Universitätsklinikum Groningen in den Niederlanden. „Wir in Europa seien verwöhnt und daran gewöhnt, dass uns immer geholfen werden könne“, sagt der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene. Daher müssen auch Patienten verstehen, dass bei leichten Infekten nicht sofort Antibiotika geben sollten, gemäß der Devise: Heilung mit Antibiotika dauert 1 Woche, ohne vielleicht nur 8 Tage. Nur so können wir Ärzte dafür sorgen, dass uns auch in Zukunft zur Behandlung schwerer bakterieller Infektionen effektive und sichere Medikamente zur Verfügung stehen.

Dr. Luai Chadid

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