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Darmflora – so wichtig wie ein menschliches Organ

Der Darmflora verdanken wir, dass wir uns schneller an die Verdauung unbekannter Nahrungsstoffe adaptieren und mehr Energie und Substrat aus der Nahrung gewinnen können. Dies ist ein klarer Überlebensvorteil für Menschen, die von Hunger bedroht sind, aber eine Krux für Menschen, die im Überfluss leben. Solche Erkenntnisse haben die Darmflora zu einem Thema in der Forschung zu Ursachen der Fettleibigkeit (Adipositas) und zu Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus und Lebererkrankungen werden lassen.

Fettleibigkeit (Adipositas) und deren Folgeerkrankungen betreffen einen großen Teil der Weltbevölkerung und sind die häufigsten Todesursachen der westlichen Welt. Zu den Folgeerkrankungen zählen Diabetes mellitus sowie verschiedene, metabolische Lebererkrankungen, wie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung oder die nichtalkoholische Fettleberhepatitis, und Herz-Kreislauf Erkrankungen. Diese Erkrankungen belasten unser Gesundheitssystem erheblich und konnten bislang bevölkerungsweit nicht kontrolliert werden. Ein Grund dafür ist, dass zentrale Fragen der Adipositasforschung nicht hinreichend geklärt werden konnten: Warum nehmen immer mehr Menschen zu? Warum nehmen Menschen unterschiedlich zu? Warum sind Menschen unterschiedlich von Folgeerkrankungen betroffen?

Diese Fragen könnten mit der Darmflora in Zusammenhang stehen. Bis vor 10 Jahren wusste man von der Darmflora (intestinales Mikrobiom) lediglich, dass sie Nahrungsreste verarbeiten, teils unter erheblicher Gasbildung, und dass ihr Eindringen in die Blutbahn eine schwere generalisierte Infektionen verursachen kann. Heute ist das Wissen diesbezüglich weit umfassender: Inzwischen konnten mehr als 1000 verschiedene Bakterienspezies im Darm identifiziert werden. Neue Funktionen dieses intestinalen Mikrobioms wurden identifiziert, darunter die Regulation und Entwicklung des Darmimmunsystems, die Interaktion zwischen Darm und Gehirn, die Kälteanpassung und die Unterstützung der Verdauung. Letztere bedeutete früher einen Überlebensvorteil für Menschen, die von Hunger bedroht sind, wie es jahrtausendelang auf nahezu die gesamte Menschheit zutraf und bis heute für viele Menschen gilt. Zum Verhängnis wird die Unterstützung der Verdauung aber für Menschen, die im Überfluss leben, was zunehmend für die heutige Menschheit weltweit gilt.

Ursache einer Fettleibigkeit ist eine positive Energiebilanz: nimmt man mehr Kalorien zu sich als man durch körperliche Aktivität verbraucht, kommt es zu einer Gewichtszunahme. Jedoch wird auch eine genetische Veranlagung für diese Gewichtzunahme diskutiert. Der Konsum von Getreideprodukten und Ballaststoffen ist in den letzten 150 Jahren um etwa 65% zurückgegangen, während der Verzehr von Fett und Protein deutlich zugenommen hat. Der Fettkonsum hat jedoch in den letzten 50 Jahren kaum zugenommen, dies ist vor allem auf den vermehrten Verzehr von Süßigkeiten und gesüßten Getränken zurückzuführen. Insbesondere die in hohen Dosen darmschädigende Fruktose, die vermehrt im verbreiteten Maiszucker vorkommt, scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Diese Ernährungsweise wird als „Western-style diet“ bezeichnet und ist eine wesentliche Ursache für die Adipositasepidemie, die in den 1970er-Jahren begann. Zuckerreiche, fettreiche und proteinreiche Nahrung führen zu einer deutlichen Veränderung der Darmflora, wenige Ballaststoffe führen zu einer Störung der Barriere zwischen Darm und Blutkreislauf. All dies sind Faktoren die eine Entstehung einer Fettleibigkeit unterstützen. Diese Erkenntnis basiert auf drei Typen von tierexperimentellen Studien, welche die Bedeutung des intestinalen Mikrobioms für Adipositas belegen:

  1. Keimfrei aufgezogene Mäuse entwickeln trotz höherer Nahrungsaufnahme 40 % weniger Körperfett als normal aufgewachsene Tiere, was bestätigt, dass die Darmflora einen wesentlichen Einfluss auf die Kalorienaufnahme aus der Nahrung ausübt.
  2. Adipositas ist mit einer deutlichen Veränderung der Zusammensetzung und Funktion der Darmflora assoziiert.
  3. Keimfrei aufgezogene Mäuse, denen Darmbakterien von dicken Mäusen bzw. Menschen eingebracht werden, nehmen nach vermehrter Nahrungszufuhr mehr zu als Mäuse, denen Darmbakterien von schlanken Mäusen Menschen zugeführt werden.

In weiteren tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass ein Verlust der Darmflora-Diversität durch Diätfehler innerhalb eines Lebenszyklus umkehrbar ist, aber diätetisch unumkehrbar wird, wenn sich der Diätfehler über mehrere Generationen fortsetzt. In der vierten Generation konnten die Darmfloraveränderungen mittels Rückkehr zu einer gesunden Ernährung nicht mehr normalisiert werden. Erst die Kombinationstherapie aus Ernährungsumstellung und Stuhltransplantation stellte die normalen Mikrobiomfunktionen wieder her.

Die Darmflora hat somit einen erheblichen Einfluss auf die Verdauung: der Großteil der Darmbakterien produziert Verdauungsenzyme, welche die Verdauung von Nahrung und die daraus resultierende Energieaufnahme optimiert. Waren diese Enzyme ein Überlebensvorteil für Menschen, die über Tausende von Jahren von Hunger bedroht waren, ist dieser Optmierungsmechanismus in Zeiten des Überflusses zum Nachteil geworden. Eine fett- und zuckerreiche, ballaststoffarme Diät („Western-style diet“) bewirkt nämlich eine Anpassung des intestinalen Mikrobioms („Western microbiota“), die die Energiegewinnung aus dem Kolon um 5–10 % steigert, was letztendlich die Zunahme der fettleibigen Menschen erklärt.

Je gesünder wir essen, desto optimaler entwickelt sich unsere Darmflora. Beispielsweise haben Kinder aus Burkina Faso, wo vorwiegend eine Ernährung auf der Basis von Körnern, Gemüse und gelegentlich Fleisch praktiziert wird, einen optimalen Bacteroidetes-Anteil von 73 %, während es bei Kindern aus Europa nur 27 % sind.

Leider sind bisherige Versuche, Adipositas mit in der Apotheke käufliche Probiotika zu reduzieren, möglicherweise wenig erfolgreich gewesen, weil marktübliche Probiotika für völlig andere Zielsetzungen entwickelt wurden, etwa für die Behandlung von Durchfällen. Neuartige Probiotika, die auf adipositasassoziierten Konzepten basieren, könnten zu erfolgreicheren bakteriellen Therapien führen. Besser wäre natürlich, es erst nicht zu einer Fettleibigkeit kommen zu lassen, daher ist es aus meiner Sicht unerlässlich Kinder schon im frühen Alter entsprechend auf eine gesunde Ernährung einzustimmen.

 

Dr. L. Chadid

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